Die Steine in der Friedhofsmauer

Mauern gehörten vor Zeiten und sie gehören noch heute zum unmittelbaren Umfeld des Menschen. Sie gehören zu den objektiven und somit unbestechlichen Zeitzeugen unserer Geschichte. Bis zum heutigen Tag war es hin und wieder notwendig, große und kleine Reparaturen durchzuführen. Die Friedhofsmauer wird es allen Helfern mit ihrer imposanten Ausstrahlung danken und zu allen Zeiten ein geschichtsträchtiges Symbol sein. (Bild 1 Friedhof 007.JPG)

Betrachtet man die Friedhofsmauer während eines Spaziergangs, fallen einem die verschiedensten Formen und Farben der Mauersteine auf. Als Laie ist man hier nicht in der Lage, sie allseitig „wissenschaftlich“ zu benennen. Hier eine unvollständige Aufzählung. Der Schiefer kommt bei uns am häufigsten vor, der Diabas als Blau-oder Grünstein. Der Quarzit ist auch als Kieselstein bekannt. Granitsteine und Sandsteine, die wir als Werksteine antreffen, kann man deutlich erkennen. Darüber hinaus Ziegelsteine in handgestrichener oder maschinell gefertigter Form.
Nicht vergessen darf man die Grabeinfassungen, die bei größeren Reparaturen, wie nach dem Beschuss im April 1945 zum Einsatz kamen.

 
Am Weg nach Stein
Bruchstück eines Reliefs in der Friedhofsmauer
 

Auch das Bruchstück eines Reliefs überrascht den interessierten Wanderer. Stammt dieses Teil aus der alten Kirche von Wildbach? Wenn dem so wäre, ist es unaussprechlich alt. (Bild 2 P1010073.JPG)
Nach ihrer Herkunft und Häufigkeit waren es Bruch- oder Lesesteine, die man in der Mauer finden kann. Die größte Aufmerksamkeit gebührt aber den Werksteinen.
Ein Werkstein ist ein Stein, der als Werkstück, also als Gegenstand der Fertigungstechnik, betrachtet wird. Damit unterscheidet sich der Werkstein vom unbearbeiteten Bruch- oder Lesestein. Das gilt auch für den Rohblock, der als solcher noch nicht als Baumaterial oder als Gebrauchsgegenstand diente.

Der Werkstein ist außerdem das zentrale künstlerische Medium des Steinbildhauers. Der beliebteste Werkstein der Steinbildhauer war und ist der Sandstein. An Kirchen und Schlösser kann man diese schönen und imposanten Arbeiten bewundern und bestaunen.
In unserer Friedhofsmauer kommt der Sandstein in kleiner Stückzahl, aber in stattlicher Größe vor. Was gibt es nun zum Sandstein zu sagen?
Sandstein ist ein Sedimentgestein, d. h. ein Ablagerungsgestein, also ein mechanisches ( klastisches ) Gestein, wie auch Tonschiefer und Molasse.
Da es in unserer näheren Umgebung keine Sandsteinvorkommen gibt, muss man sich Gedanken zur Herkunft der Sandsteine machen.
Unser Sandstein ist ein Sandstein aus dem „Rotliegend“, das im Erzgebirgsbecken abgelagert wurde. Seine Herkunft ist der Raum Zwickau/Glauchau und wahrscheinlich die Formation Mülsen.


Burgruine

 

Die Erbauer unserer Burg unter Führung des Dudo von Meineweh kamen aus dem Osterland oder Pleißenland. Die Möglichkeit, dass man hier Baumaterial für Tür-, Tor- und Fenstergewände bzw. Laibungen finden kann, war ihnen nicht entgangen. So kam es, dass der benötigte Sandstein aus der Gegend von Mülsen hierher gekarrt wurde. Es waren zweirädrige Karren, die von Ochsen gezogen wurden. Diese Karren und der sonst noch übliche Verkehr trugen dazu bei, dass wir in heutiger Zeit auf der Reliefkarte die tiefen Geländeeinschnitte, die sogenannten Hohlen, sie stehen für nicht mehr genutzte Hohlwege, erkennen.
(Bild 3 Isenburg)

Ein Übriges für die Ausformung der Hohlwege taten die Pilger, die ins Klösterlein zogen, Bauern, die ihre Abgaben leisten mussten und Händler, die ihren Geschäften nachgingen. Zusammenfassend kann gesagt werden, diese mehrgleisige Trasse war für die Burg nützlich und die Burg war Schutz des Fernweges.
Irgendwann waren die benötigten Sandsteinblöcke an der Baustelle eingetroffen. Sie wurden vom Steinmetz bearbeitet und lagen nun zum Einbau bereit. Manche waren für Tor-, Tür- und Fensterlaibungen vorgesehen, die anderen für deren Gewände. Steine bei denen der Bearbeitungsaufwand zu groß wurden als Mauersteine genutzt.
 

Hohlen am Sanften Heinrich

Im Bergfried der Burgruine kann man noch einige dieser Sandsteine sehen. Im eingebauten Zustand rundeten sie die Optik der Burg ab, ja sie verbesserten das Aussehen der Burg. Sie verblieben solange, bis die Schönburger Herrschaft genehmigte, dass das Gemäuer der Burg gesprengt werden durfte und die Steine dem geplanten Neubau der Kirche in Wildbach und der notwendigen Erweiterung der Friedhofsmauer dienen sollten.
Der Bau der Kirch konnte nicht wie vorgesehen beginnen. Geld- und Hungersnot zwangen zum Verschieben des Kirchenbaus. Die Steine mussten mehr als 50 Jahre warten, ehe sie ihrem Zweck dienen konnten.


Einritzungen im Stein
 

Die wenigen in der Friedhofsmauer festgestellten Sandsteine werden der eigentlichen Anzahl nicht gerecht. Unter dem Putz unserer Kirche darf man noch einige vermuten. Im Zentrum der folgenden Abhandlung soll ein ganz besonderer Stein stehen, ein Stein, der etwas Licht in die Vergangenheit der Burg bringt bzw. meine Aussagen in „Einige Merkwürdigkeiten zur Geschichte der Burg Wildenfels“ erhärtet. (Bild 4 P1010075)

Im Stein sind Einritzungen zu erkennen. Steineinritzung wurden zur damaligen Zeit genutzt, um religiöse Darstellung zu verbreiten oder eine Geschichte zu erzählen.

Greifvogel unter der Sonne
 

Unser Stein kann mit dem Putzritzgemälde des Klösterlein Zelle nicht mithalten. Seine Aussagekraft ist aus meiner Sicht jedoch bedeutend höher.

Was kann man von diesem Stein erfahren. Was sieht man oder was glaubt man zu sehen: Links oben im Stein erkennt man die Sonne. Unter der Sonne sitzt oder fliegt ein Greifvogel. Er blickt nach Osten. Diese Zeichen sind sehr undeutlich. Man muss beachten, wie alt der Stein ist und dass es keinen Grund gab, pfleglich mit ihm umzugehen. Das Ziel seines Fluges ist das Morgenland. (Bild 5 Detail 5.jpg)

 
Steinmetzzeichen
 
Weltkugel - Symbol für Jerusalem
     

Unter dem Adler ist das Zeichen des Steinmetzes recht deutlich zu sehen. (Bild 6 Details 1.jpg) (Bild 7 Details 2.jpg).
Im Zentrum des Steines sehen wir die Weltkugel, die damals noch als Scheibe galt. Sie verkörpert Jerusalem, das Zentrum der Christenheit. Die Weltkugel ist symbolisch eingerahmt, weil sowohl Jerusalem als auch Akkon in den Händen der Muslime war. Rechts auf dem Stein gibt es eine beschädigte Stelle. Man kann trotzdem die Figur des Dudo von Meineweh erkennen. Seinen Kopf, darüber die erhobene Schwerthand, sein Bein mit Fuß und an der Kante des Steines den zweiten Fuß.
Dudo ist hier eindeutig in einer Kampfstellung dargestellt.

Zwischen den Beinen des Kämpfers ist eine Blume eingeritzt. Es ist eine Lilie, die weiße Lilie des „Königreich Jerusalem“. (Bild 8 Details 4.jpg) und (Bild 9 Details 3.jpg)
Das Königreich Jerusalem war einer von vier Kreuzfahrerstaaten. Es bestand von 1099 bis 1291.
Die Steinritz-Darstellungen wurden nach der Heimkehr des Dudo vom Kreuzzug, nach seinen eigenen Aussagen erstellt.

 

Darstellung des Dudu von Meineweh
 

Lilie des Königreiches Jerusalem
Ein weiterer Stein in der Friedhofsmauer sagt uns, dass es auf der Burg noch weitere bildliche Darstellungen gab. Wir müssen uns aber mit dem, was wir haben, zufrieden geben.
   
 

Nun ist es an der Zeit, die Aussagen unseres Steins mit historischen Fakten unter Beteiligung des Dudo von Meineweh zu untermauern.

Mainz, 27. März 1188 Hoftag Jesus Christi
Der Stauferkaiser Friedrich I. “Barbarossa“ und sein Sohn Friedrich von Schwaben nehmen das Kreuz. Sie folgen somit dem Aufruf des Papstes zum Kreuzzug ins Heilige Land.

Burg Wildenfels, 1. und 2. Oktober 1188
Der Kaiser ging in der Mark Meißen seinen Regierungsgeschäften nach. Gleichzeitig warb er Teilnehmer für den geplanten Kreuzzug. Der Kaiser nahm Quartier auf Burg Wildenfels. Dudo bekannte sich zur Teilnahme am Kreuzzug einschließlich zwei seiner Gefolgsleute.

Regensburg, 10. Mai 1189
Feierlicher Hoftag mit den Kreuzzugteilnehmern.

Auf dem Vierfeld bei Pressburg, 25.-28. Mai 1189 Pfingsten
Feier des Pfingstfestes mit dem Heer der Kreuzritter. Unter den Kreuzrittern war auch Dudo von Meineweh mit zwei seiner Gefolgsleute.
Interessant ist in diesem Zusammenhang: Es war auch ein Heinrich von Isenburg (Isinburhc) anwesend.
Das Heer des Friedrich I. war 15000 Mann stark. Das Kreuzzugheer wird vom König der Ungarn empfangen und reichlich mit Proviant versorgt.

Überschreitung der Drau, Juni 1189
Friedrich überschreitet mit seinem Heer die Drau ( Drowam ; Tra) auf Schiffen unter großen Mühen und mit großen Verlusten. Bei dieser Aktion kam auch ein Gefolgsmann des Dudo von Meineweh ums Leben.
Ein beschwerlicher Weg durch den Balkan, geprägt durch Übergriffe der einheimischen Bevölkerung und entsprechende Vergeltungsaktionen.
Friedrich überwintert mit seinem Heer in Adrianopol .

29. März- 2. April 1190 Die Kreuzfahrer überqueren die Dardanelle.

Fluss Saleph , 10. Juni 1190 Tod des Kaisers.
Friedrich überquert den Fluss. Nach dem Frühstück nimmt er darin ein Erfrischungsbad und ertrinkt.

Nach dem Tod des Kaisers kehrte ein Teil des Heeres demoralisiert über Antiochia nach Hause zurück. Die verbliebenen Kreuzfahrer zogen unter der Führung des Friedrich von Schwaben, auf dem Landweg über Tyros in Richtung Jerusalem weiter. Im Oktober 1190 erreichten sie die belagerte Stadt Akkon und schlossen sich den christlichen Belagerern an.

Mit Eintreffen des französischen König Phillipp II. und des englischen Königs Richard Löwenherz verbesserte sich die Situation der Belagerer.

Bei einem Angriff auf die Festung ist der zweite Gefolgsmann des Dudo gefallen.

Am 12. Juli 1191 wurde mit Einverständnis des Sultan Saladin, Akkon an die Kreuzfahrer übergeben.
Über Akkon wehten nun das englische, das französische und das deutsche Banner. Richard Löwenherz ließ das deutsche Banner von einem Knappen in den Burggraben werfen. Das war eine ehrenrührige Handlung, die dem jetzigen Führer des deutschen Kontingentes Leopold V. von Österreich zwang, mit dem Rest des deutschen Heeres den Heimweg anzutreten. Leopold V. wurde Nachfolger des Friedrich von Schwaben, der im Januar 1191 verstarb. Unter den Rückkehrern war auch Dudo von Meineweh.

Dudo kam im Herbst 1192 auf seiner Burg Wildenfels an.
Er hatte bei seinem Aufenthalt im Orient viele wertvolle Erkenntnisse gewonnen: Das Wissen, wie man Eisenerz hochwertiger schmelzen kann und wie man dieses gewonnene Eisen durch eine ausgefeilte Schmiedetechnik bearbeiten konnte. Die Qualität seiner Waffen war dadurch unübertroffen.
Seine Überlieferung, die er in den Sandsteinen seiner Burg verewigen ließ, ist aus meiner Sicht für die Nachwelt wertvoller als alle übrigen Erkenntnisse.

     

Jürgen Hüller
Wildbach, Dezember 2021