Wer von der Wildbacher Kirche den Weg in Richtung Stein benutzt, kommt zwangsläufig zum steil abfallenden Teilstück des Weges, den „Sanften Heinrich“. Sowohl bergab als auch bergan stellt dieser Abschnitt einige Ansprüche an die Kondition des Wanderers.
Im Mittelpunkt unserer Betrachtungen stehen die Geschichte dieses Weges, die Entstehung des Namens sowie einige angrenzende Flurnamen.
Unser „Sanfter Heinrich“ gehörte schon seit ewiger Zeit zu einer stark befahrenen Straße. Anfänglich, zu der Zeit, als die Herrschaft „Isenburg“/Wildbach noch existierte, war er ein Teil des Fröhnerweges von Zschocken ins Kloster Zelle. Als Wildbach zur Schönburger Herrschaft kam, wurde er von Wildbacher Bauern genutzt, die in die Rothmühle zum Mahlen fuhren. Es ist anzunehmen, dass sie am Fuße des „Sanften Heinrich“ abbiegend, entlang der Mulde in das Roth fuhren. Der Weg entlang des Muldenufers war gut ausgebaut und ist heute noch zu erkennen.
Ob die Bauern unseres Niederdorfes diesen Weg nahmen oder ob sie den Weg über den Rothberg bevorzugten, kann man offen lassen. Die Bauern des Oberdorfes, aber zumindest die Langenbacher Bauern, werden diesen Weg genommen haben. Später, als die Rothmühle ein „Vitriolwerk“ wurde, war es der Weg zur Junkermühle in Stein. Nach Stein mussten unsere Bauern auch, um ihren Frondienst zu leisten und ihre Abgaben zu entrichten.
Vom starken Verkehr auf dieser Strecke zeugen sehr viele Hohlen, die am Fuß des „Sanften Heinrich“, dort, wo der Bärengrund herunter kommt, in Richtung Wildbach ziehen. Ehe unser steiler Berg seinen jetzigen Namen erhielt, wurde er von Fuhrleuten und Bauern Hemmberg genannt. Hemmberg deshalb, weil die Fuhrleute ihre Wagen stark abbremsen, also hemmen mussten, damit sie nicht außer Kontrolle gerieten. Wie hier im Steinwald, gibt es auch im nahe liegenden Hartensteiner Forst und im Wildenfelser Wald Hemmberge.
In den Sächsischen Meilenblättern ist der Hemmberg ein Teilstück des Kirchsteiges nach Wildbach. Warum dieser Weg Kirchsteig nach Wildbach hieß, und wie der Hemmberg zum „Sanften Heinrich“ wurde, erläutert uns Pfarrer Landgraf.
In der Beschreibung der Parochie Wildbach-Langenbach erfahren wir von ihm:
„…und schlagen nun nördliche Richtung ein, um bald schon den Steinwald, mit herrlichen Blicken rechts ins tiefe Muldental hinab, vorwärts auf Schloß Stein hinunter und nach Hartenstein hinüber zu durchschreiten, kurz vor Stein ein gut Teil des Abstiegs von 100 m auf dem übersteilen Steinberg dem übelberüchtigten „Sanften Heinrich“, (so nach seinem Erbauer des Vornamen Heinrich benannt) auf einmal zu erledige und in ½ Stunde unser nach Wildbach eingepfarrtes und eingeschultes linksmuldiges Dörflein Stein zu erreichen.“
Dieser Mann mit dem Namen Heinrich erbaute nicht den „Sanften Heinrich“, er war, so würde man es heute nennen, Bauleiter der um 1875 erbauten Landstraße von Wildbach nach Stein. Diese Straße wurde als Landstraße 3. Ordnung geführt und hatte, solange Wildbach zum Kreis Zwickau gehörte, ihre Bedeutung. Zwei herrliche alte Eschen, die damals üblichen Straßenbäume, zeugen noch heute vom Bau dieser Straße. Nach dem 2. Weltkrieg wurde Wildbach dem Kreis Aue zugeordnet. Unsere Landstraße wurde für Kraftfahrzeuge offiziell gesperrt, so dass die Natur sich einiges zurückholen konnte. In den Jahren 1999/2000 wurde die Straße ein Teil des Radfernwanderweges. Unser „Sanfter Heinrich“ erhielt eine Bitumendecke, diese erleichterte somit den Wanderern und Radfahrern das Bewältigen des Anstieges.
Was wäre unser „Sanfter Heinrich“ ohne die zu ihm gehörende Legende. Es liegt schon einige Jahrhunderte zurück, da war die in Teilen noch erhaltene Ruine der Isenburg das Versteck einer Räuberbande. Ihre Anführer waren zwei Brüder. Von der Isenburg aus unternahmen sie ihre Raubzüge in allen Himmelsrichtungen. Die Ruine war ein ideales Rückzugsgebiet und ein gutes Versteck für ihre Beute.
Der steile Anstieg von Stein nach Wildbach, mit seinem hohen Verkehrsaufkommen, war aber der bevorzugte Ort für ihre Überfälle. Über den Rittersteig waren sie schnell vor Ort, wenn die Späher meldeten, dass fette Beute im Anmarsch war. Ebenso schnell konnte die Beute ins Versteck gebracht werden.
Obwohl die beiden Anführer Brüder waren, hatten sie doch unterschiedliche Charaktere. Während der eine rabiat war und brutal mit den Überfallenen umging, hatte sein Bruder Heinrich ein sanfteres Gemüt und gab manchem Beraubten Teile seines Eigentums zurück. Diese Verhaltensweise sprach sich herum und so bekam der Hemmberg, die Stelle der Überfälle, den Namen „Sanfter Heinrich“. Wie lange die Räuber ihr Unwesen trieben, ist nicht bekannt. Doch spätestens nach einem Überfall auf kirchliche Würdenträger kam es zum totalen Zerwürfnis zwischen den Brüdern. Die Bande verließ darauf hin unsere Gegend. Ob ein Teil von ihnen ihr schändliches Handwerk weiter führte, weiß niemand.
Der „Sanfte Heinrich“ wird es mir nicht Übel nehmen, wenn ich jetzt ein bisschen abschweife, alle anderen dürfen es mir verübeln. Die Isenburg wird auch als Raubschloss bezeichnet. Kann es nicht sein, dass dieser Name mit unserer Legende in Verbindung zu bringen ist? Jedenfalls war die Isenburg in der Zeit ihrer Existenz keine Raubritterburg. Der Begriff des Raubrittertums ist überhaupt erst zur Zeit der Burgenromantik, Ende 18. Jahrhundert/Anfang 19. Jahrhundert geprägt worden. Bis zur Verkündigung des Ewigen Landfriedens durch Maximilian I. galt das durch Friedrich I. (Barbarossa) erlassene Fehderecht. Und im Übrigen waren zur damaligen Zeit die Kreuzzüge ein Ventil für nicht ausgelastete Ritter. Heute übernimmt das u. a. der Fußball.
Dass man das Raubschloss auch mit dem Prinzenraub in Verbindung bringen kann, soll hier nur angedeutet werden.
Jürgen Hüller
Wildbach, August 2011 |