Die Mauer um den Friedhof

Mauern gehörten vor Zeiten und sie gehören noch heute zum unmittelbaren Umfeld des Menschen. Sie gehören zu den objektiven und somit unbestechlichen Zeitzeugen unserer Geschichte. Wer kennt nicht solche geschichtsträchtige Begriffe wie die „Mauer von Jericho“, die „Große Chinesische Mauer“ oder die „Klagemauer“ in Jerusalem. In den Reigen dieser großen Namen kann sich unsere Friedhofsmauer nicht einordnen, nichtdestotrotz nahm sie zu allen Zeiten mit ihrem erhabenen Aussehen und ihrer abwechslungsreichen Geschichte am Leben und Sterben der Einwohner Wildbachs teil. Verbunden mit der Hoffnung, dass unsere Friedhofsmauer immer mehr die ihrer gebührenden Aufmerksamkeit erhält, erlaube ich mir diese sicherlich unvollständigen Betrachtungen anzustellen.

 
Am Weg nach Stein

Öffnung in der Friedhofsmauer
 

Mauern haben im Wesentlichen zwei Funktionen. Eine Mauer gibt uns ein Gefühl der Sicherheit, sie hat also eine Schutzfunktion. Mauern sind aber auch Zeichen eines umfriedeten Rechtsbezirks, also eines Bereiches, in dem ein eigenes oder ein besonderes Recht gilt. Im Falle des Friedhofs zeigt die Mauer zunächst an, dass es sich um nicht-öffentliches Gelände handelt, auf dem besonders aus religiösen Gründen bestimmte Verhaltensnormen einzuhalten sind. Innerhalb der Mauer wurde selbstverständlich nur christlich Bestattet, das heißt die zu Beerdigenden haben alle christlichen Gesetze und Gebote eingehalten um in den Himmel zu kommen. Das war für unsere Vorfahren so bedeutend, dass selbst Denjenigen, die durch ihre Untaten keinen Anspruch auf eine christliche Beerdigung hatten, bisschen christlicherSchutz anheim fallen sollte,

in dem sie direkt an der Außenmauer beerdigt wurden. In späterer Zeit, der Zeitpunkt lässt sich nicht festlegen, wurde aus „hygienischen Gründen“ dieser Personenkreis durch eine Öffnung in der Friedhofsmauer auf den Friedhof gebracht und in einer entlegenen Ecke begraben.
Üblicherweise wurden die Gräber um die Kirche herum angelegt. Gewünscht war eine Bestattung „ad sanctos“ (bei den Heiligen). Im mittelalterlichen Kirchhof der vorreformatorischen Zeit hatten die Toten an den segensreichen Wirkungen der Reliquien und den gottesdienstlichen Handlungen Anteil. Der festgelegte Wirkungskreis der Reliquien gab die Größe der geweihten Kirchhöfe vor. Die begrenzenden Mauern sollten somit idealer weise kreisrund sein. Eine beliebige Erweiterung war aus diesem Grund schwer möglich.


Grundriss unserer alten Kirche mit Friedhofsmauer auf dem Meilenblatt aus dem Jahre 1790

 

Unsere aus Bruchsteinen festgefügte, umlaufend Friedhofsmauer hat ein solide Abdeckung mit Naturschiefer. Sie wird durch mittlerweile drei Tore unterbrochen. Neben dem Gebäude der ehemaligen Schule übernimmt auch das Pächterhaus mit ehemaligen Stallungen einen Teil der Abgrenzung unseres Friedhofes. Das Mauerwerk zeugt auch von ständigen Erhaltungsmaßnahmen im Laufe der Jahre.
Es ist sicherlich nicht falsch, wenn man die Errichtung der Friedhofmauer mit dem Bau der Kirche verbindet. Dabei kann es einen zeitlich kurzen aber auch einen relativ großen Abstand gegeben haben.

Pfarrer Landgraf formuliert in der Beschreibung der „Parochie Wildbach-Langenbach“: „Sie wurde (unsere jetzige Kirche) in den Jahren 1804-1806 an derselben Stelle erbaut, an der bis dahin Jahrhunderte lang die alt und wohl erste Kirche des Ortes gestanden hat“. Wenn diese erste Kirche ähnlich solide wie die Kirche in Griesbach gebaut wurde kann man diese fast 600 Jahre ohne weiteres akzeptieren. Zur Umfriedung des Kirchhofes gibt uns Pfarrer Landgraf folgende Nachricht: “Blitzableitungen befinden sich seit 1875 auf Turm und Kirche, wie seit späterer Zeit auch auf Pfarre und Schule. Erstere begrenzt an der Westseite, letztere an der Südseite den Kirchhofs, der mit Steinmauer umfriedet und im laufe der Jahrhunderte mehrmals vergrößert wurde“. Ist die Aussage zur mehrmaligen Vergrößerung des Kirchhofs eine Vermutung, oder hat Pfarrer Landgraf, der wie kein anderer die Geschichte Wildbachs und seiner Kirche erforscht und dokumentiert hat tatsächlich zutreffende Belege gefunden? Ich erwarte nicht unbedingt Zustimmung, wenn ich mich dieser Meinung nicht bedingungslos anschließe. Ich vertrete die Meinung, dass es nur zwei wesentliche Vergrößerungen gab zumal unser Friedhof auch heute nicht übermäßig groß ist.


Darstellung der Erweiterung Richtung Stein
 

Die erste fand in ganz früher Zeit statt, zu einer Zeit in der der Friedhof im wahrsten Sinne des Wortes noch ein Gottesacker war. Mit der Einfriedung mittels einer umlaufenden Mauer aus Bruch- und Lesesteinen wurde auch die Größe des Friedhofs festgelegt. Eine vorausschauende Sichtweise sollte man unseren Vorfahren nicht absprechen. Der Friedhof genügte bis zur zweiten und umfassenden Vergrößerung dem erforderlichen Platzbedarf. Von der ursprünglichen Mauer, deren Umfang auf einem Kartenausschnitt der Sächsischen Meilenblätter sehr gut dargestellt ist, erkennt man noch ein Teilstück zwischen Pfarre und der unlängst gefällten Linde. Die Mauerstärke der alten Mauer betrug ca. 70 cm.

Ein weiteres kleines Stück alter Mauer finden wir auf der Seite der Schule. Der weitere Verlauf der Mauer vermittelt den Eindruck, dass dem Schulneubau nicht nur die Friedhofsmauer geopfert wurde, sondern auch der Friedhof selbst ein Teil seiner Fläche hergeben musste.

Der Bau der neuen Kirche, die eine viel größere Grundfläche als die alte Kirche hat, und die steigende Einwohnerzahl des Ortes machten eine Erweiterung des Friedhofs zwingend erforderlich. Am Ist- Zustand der Mauer kann man abmessen, dass sowohl in Richtung Dorf als auch in Richtung Stein jeweils eine Vergrößerung von ca. 6 Metern erfolgte. Die gleiche Meterzahl kann auch in Richtung Isenburg vermutet werden. Im Meilenblatt ist der Abstand vom Weg zur Friedhofsmauer viel größer als heute, so dass diese Annahme erlaubt sein dürfte. Diese neue Mauer hat nunmehr eine Stärke von 50 cm. Sie wurde aus Steinen der alten Mauer, Steinen der alten Kirche und auch Steinen der Isenburg errichtet. Es waren zumindest die Steine, die für den Bau der Kirche nicht so gut geeignet waren. In ihr wurde auch die schon erwähnte Maueröffnung wieder eingearbeitet, die in späteren Jahren zugemauert wurde.

Die Vielfältigkeit der in die Mauer eingebauten Steine belegt, dass häufig Reparaturen durchgeführt werden mussten. Einen gewissen Anteil daran hat dabei die von 70 cm auf 50 cm reduzierte Mauerstärke. Es gab aber auch noch einen anderen Grund, der eine Reparatur an der Friedhofsmauer erforderlich machte.

Ende April 1945 erreichten die Kampfhandlungen des Krieges unsere Friedhofsmauer. Sie kam dabei nicht ohne Wunden davon. Granaten aus amerikanischen Geschützen zerstörten einen kleinen Teil der Mauer. Diese Stelle kann man heute noch gut erkennen. Sie liegt direkt hinter der Leichenhalle. An der Innenseite sieht man, dass bei den Reparaturarbeiten an der Friedhofsmauer auch Grabeinfassungen verwendet wurden. Was sich in diesen Tagen ereignete berichtete zeitnah ein Offizier, der mit einer Gruppe junger Soldaten folgenden Einsatz durchzuführen hatte.
 

„Am 27. April 1945 erhielt ich folgenden Befehl und Auftrag: Der Feind hat sich Hartenstein genähert. In der Mühle von Stein befinden sich noch Vorräte von Weizen und Korn, die dem Amerikaner nicht in die Hände fallen dürfen (etwa 70 Sack). Die Kompanie sollte einen starken Spähtrupp stellen, der in der Nacht vom 28. zum 29. 04. nach Mühle Stein vorgeht und die dort befindlichen Säcke mit Hilfe von requirierten Gespannen der Gemeinde Wildbach nach Schneeberg (Schützenheim) abtransportiert, von wo sie mit LKW nach Aue gebracht werden. Der Spähtrupp hat die Sicherung der Gespanne zu übernehmen. Die Gespanne sind nach Erfüllung des Auftrags wieder nach Wildbach zu entlassen“. Ich besprach mit den beiden Gruppenführern an Hand der Karte den Auftrag und schickte am 28. 04. früh einen Radfahrspähtrupp (1:2) nach Wildbach, der beim Bürgermeister von Wildbach die Gespanne organisieren und nach Mühle Stein vorfühlen sollte. Die Bauern sollten um 20 Uhr an der Kirche in Wildbach bereit stehen“.

„Als wir die Wildbacher Straße hinausfuhren, wollte uns ein Major der Artillerie schon kassieren. Als ich ihm von meinem Auftrag berichtete, sagte er mir, dass wir uns dann dazuhalten müssten, da der Amerikaner schon am Bahnhof Hartenstein wäre. Ich erfuhr auch gleich von ihm, wo die vordersten Sicherungen lagen. Schnell ging es weiter zur Kirche von Wildbach. Hier traf ich den vorgeschobenen Beobachter, der sich auf dem Kirchturm eingenistet hatte. Ich ließ mich von ihm im Gelände einweisen. Als wir an der Friedhofsmauer standen, kam gerade die Sicherung zurück, die an der Mulde in Stein lagen. Sie meldeten uns, dass sie sich zurückziehen musste, da der Feind Stein besetzt habe und auf der Talstraße nach Niederschlema vorfühlte. Sie nisteten sich jetzt hier am Friedhof ein. Wir beobachteten scharf durch unsere Ferngläser. Richtig, auf der Talstraße nach Niederschlema fuhren 7 Panzer vor. Der Leutnant der Ari und ich, wir waren gerade von der Friedhofsmauer hinter die Kirche gegangen, um die Beobachtung an den Gefechtsstand durchzugeben, als plötzlich an unserem früheren Standort zwei Granaten einschlugen.

Wir standen wie versteinert, sahen die gewaltige Dreckwolke vor der Kirche und guckten uns dann an. Die beiden Granaten hatten sicherlich uns gegolten. Die Abschüsse hatten wir ganz überhört. Gleich danach pfiffen noch zwei Pakgeschosse am Turm vorbei und schlugen auf dem gegenüberliegenden Hang, weit hinter den Häusern ein. Sie waren wohl für den Kirchturm bestimmt gewesen. Wir waren also erkannt! Der Beobachter errechnet schnell die Schießwerte, um das Feuer seiner Batterie auf die Talstraße zu lenken. Ich aber erwartete auf der Dorfstraße an der Abzweigung nach Stein meinen Kradfahrer, den ich inzwischen nach der Poppenwaldschleiferei geschickt hatte, um sich dort bei den Sicherungen zu erkundigen. Während dieser Warterei wurde ich von einigen Dorfbewohnern schwer angepöbelt. Die Leute rannten nach den Einschlägen wie ein aufgescheuchtes Hühnervolk mit Betten und Decken unter den Armen in die Keller oder in die in Gärten angelegten Bunker.
Man rief mir zu:
Macht eich fort! Wegn eich wern mir bluß beschossen!
Oder: Bis itze hatten mir unere Ruh. Itze seid ihr do, un do wär mir bluß gestört un vielleicht unere Buden aa noch zammgeschossen!

Ich konnte das Murren der Leute nachfühlen, sie waren genau so kriegsmüde wie wir. Ich gehörte nicht einmal zu dieser hier eingesetzten Truppe, sondern gab nur eine kurze Gastrolle. Außerdem entbanden mich diese Schimpfworte nicht von meinen Auftrag. Jetzt kam mein Radfahrspähtrupp, der mir meldete, dass Stein besetzt sei. Natürlich wollte auch kein Bauer sein Gespann zur Verfügung stellen. Nun heiß es erst abwarten und beobachten, was der Ami vor hatte. Ich fuhr vor zur Isenburg, weil ich als Ortskundiger wusste, dass ich von hier aus die Talstraße gut beobachten konnte. Hier waren wir manchmal als Schuljungen gewesen und haben Räuber und Schanzer gespielt. Manchmal hatten hier auch richtige Schlägereien zwischen Niederschlemaer Jungen, zu den ich ja gehörte und Wildbacher Buben stattgefunden. Auch dabei hatte es oft Beulen und zerrissen Sachen gegeben, ja manchmal war sogar Blut geflossen.
Diese Aussagen eines unmittelbar Beteiligten gewähren uns einen kleinen Einblick in die Zeit zu Kriegsende. Wildbach kann dankbar sein so glimpflich davongekommen zu sein. Die Narben unserer Friedhofsmauer sind mittlerweile verheilt.

 

Ein größerer Eingriff in unsere Mauer erfolgte im Jahre 1964. In diesem Jahr wurde die Leichenhalle gebaut. Um von hier aus einen Zugang zum Friedhof zu ermöglichen wurde die Mauer aufgebrochen und mit einem Lattentor versehen. Bis zum heutigen Tag war es hin und wieder notwendig groß und kleine Reparaturarbeiten durchzuführen. Die Friedhofsmauer wird es allen Helfern mit ihrer imposanten Ausstrahlung danken und zu allen Zeiten ein geschichtsträchtiges Symbol sein.

 

Jürgen Hüller

Wildbach, Juni 2014